Es ist Sonntag, und ich habe frei. Nicht nur vom Montag-bis-Freitag-Job, der gedanklich oft bis tief ins Wochenende reicht, sondern auch vom Fußball. Unser heutiges Spiel ist verlegt worden: Frei-zeit! Denkste! Einen Termin sollt’/wollt’ ich unbedingt wahrnehmen – zum Schreibhain-Sommerfest nach Berlin. Na ja, was heißt schon einen Termin. Abgesehen von meinen persönlichen Verpflichtungen und täglichen Bedürfnissen wie Zähne putzen, essen und aus dem Fenster gucken, kam die erste Nachricht schon, als ich noch im Bett lag. Eine Essenseinladung für den Vormittag – danke, schreibe ich, auch wenn’s nur nett gemeint ist. Zu anderer Zeit wäre ich sicher am Start gewesen. Den Zug für später buchen, fällt mir wieder ein, nach Berlin fahren, ja oder nein? 17 Uhr fährt er hin, bin ich rechtzeitig da. 21.55 Uhr oder so fährt einer zurück, 23.44 Uhr Ankunft. Oder den kurz vor Mitternacht dann bin ich um 3 Uhr nachts zu Hause. Hätte ich nur Montag frei oder wäre ich schon früher gefahren, hätte jemanden in Berlin getroffen. Lieber weiter dösen. Wahlhelfer sollt’ ich heut’ sein – hatte zum Glück absagen können: Vereinsverpflichtung. Das wurde akzeptiert, auch wenn das Spiel nun verlegt worden ist. Daher hatte auch die erste Mannschaft angefragt, und ich hatte abgesagt: Privatverpflichtung, schließlich rief Berlin ja noch. Jetzt ruft 96. Hannover spielt, 13.30 Uhr, 2. Liga, früher Anstoß. Und nach Berlin? Raus woll’t ich auch, zur Sonne, auf die Wiese legen, irgendwo hinfahren, oder einfach irgendwo in Ruhe frühstücken, bevor das Spiel losgeht. Und was ist mit Berlin? Soll ich fahren? Eigentlich schon. Wer weiß, was mich dort alles erwartet. Rechtzeitig zum 96-Spiel aus dem Bett geschleppt, ein alter Mitbewohner kommt vorbei. Das Spiel ist aus roter Vereinsbrillen-Sicht wie der ganze Tag: Irgendwie soll’s nicht sein. Kein Elfmeterpfiff, Latte, Rot! Auf der Gegenseite zappeln zwei Sonntagsschüsse im Netz, Dynamo feiert. Heute 17.45 Uhr Eishockey. Bist dabei?, eine andere Nachricht. Schon cool, zum Glück ist meine Ausrüstung in der Reparatur. Zum Glück? Dinge, die mir Spaß machen, die mir jetzt nur das Gefühl geben, mich zu etwas zu verpflichten oder verpflichten zu müssen. Berlin? In 2 Stunden fährt der Zug. Kann noch buchen. Kann auch was zu Essen machen, kann auch wieder ins Bett. Kann, kann, kann. Fahre einfach mal raus mit dem Rad an meine Lieblingsorte, etwas Sonne, ein paar Leute, was zu lesen. Komme zurück, der Zug ist durch, schreibe Mails, schreibe an meinen Geschichten, schreibe viel Spaß beim Sommerfest. Später eine meiner Lieblingssendungen, Sky90, heute eher nicht. Einfach mal einen Tag liegen bleiben (können). Das wär’s, doch da ist diese Stimme: “Verpass nicht die Möglichkeiten und morgen ist schon wieder Montag.” Der Montag-bis-Freitag-Wahnsinn, Alarm bis zum Freitag und ins Wochenende rein, Sonntag Fußball. Wohlstandsproblematik, wie gut, all diese Möglichkeiten, einen Job zu haben. Und wie wäre der Tag anders gelaufen, wenn ich dieses Ticket gebucht hätte? 17 Uhr los, 3 Uhr zurück. Es wird Zeit für die 3-Tage-Woche, Zeit den Fokus auf das Schreiben zu legen. Bei einem freien Montag wäre ich nach Berlin gefahren. Ganz sicher. Also vielleicht, vermutlich oder auch nicht. Heute Ruhe, das tut gut, das weiß ich, das fühl’ ich und auch noch eines: Da ist dieses Video, was mir grad’ noch ein anderer Freund geschickt hat. Fußball in Brasilien. Werd’ ich schauen. Gleich, später oder irgendwann. Erstmal kann ich essen oder kann schlafen oder kann nach Berlin fahren. Vielleicht fährt ja noch ein Zug, der nicht allzu spät dort ankommt. Oder kann einfach mal zu Ende schreiben, kann mich hinhauen, kann rausgehen, kann was essen. Oder abschalten, kann ich einfach mal abschalten? Abschalten, ohne nach Berlin zu fahren?
Über janmikael
Jan-Mikael hat das Jugendbuch Die Viererkette und den hurmovollen Cosy-Krimi Kunibert Eder - Der Bomber geschrieben. Für Neuigkeiten gibt es den unwahrscheinlich guten Newsletter. Moderiert wird das durchaus brauchbare Stück Texterzeugnis von Meister Eder (Hauskater von Kunibert Eder).
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