Erfahrung eines Neulings beim November-Schreibwettbewerb
“Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne” ist das vielzitierte Herrmann-Hesse-Manifest. Egal ob es auf Reisen oder auf eine Kreuzfahrt geht, ob man ein Restaurant eröffnet oder einen Berg besteigt, der Anfang, der Zauber ist bereits der erste Gedanke, die erste Idee, etwas tatsächlich in die Tat umzusetzen.
Uns Autoren geht es da genauso, wenn uns etwas in den Sinn kommt, wenn wir uns der nächsten Herausforderung stellen. Sei es der nächste Roman, eine Kurzgeschichte oder auch der NaNoWriMo (National Novel Writing Month) – 50.000 Worte in 30 Tagen. Wie sich ein Streichholz an seiner Schachtel entzündet, entzündete sich bei mir beim Gedanken daran, die Idee mit vielen anderen Autoren an diesem Wettbewerb teilzunehmen und möglichst erfolgreich abzuschließen.
50.000 Worte, 1.667 Worte am Tag, so dachte ich wie wohl auch ein unbekümmerter und unerfahrener Bergsteiger denkt, dass so eine 30-Tage-Tour schon zu bewältigen sei. Doch wenn man dann mit der Reisegruppe oder auch allein am Fuß des Berges steht, bemerkt man ziemlich schnell: 50.000 Worte, 1.667 am Tag, das ist ganz schön viel!
Der Blick der Teilnehmer wandert nach oben zum Gipfel und der gemeine Anfänger erstarrt da in Ehrfurcht. In einer Facebook-Gruppe oder privat wünscht man sich noch viel Glück und fragt einander, welchen Weg man wählt und welches Tagespensum man plant. Unverweigerlich wird man dann auf die getroffenen Vorbereitungen zu sprechen kommen, und da wird dem Neuling sein nächster Fehler bewusst. Er hat sich wenig Gedanken gemacht, eigentlich gar keine.
Natürlich, im Rucksack trägt er Papier, ein paar Stifte, aber spätestens auf der Hälfte der Strecke werden dem Anfänger die Füllerpatronen ausgehen, der Proviant ebenso, und die täglichen Verpflichtungen werden seine kaum vorhandene Zeitplanung ins Wanken bringen.
Links und rechts stratzen die anderen Wanderer und Kletterer vorbei, wählen mit 4.000 oder 6.000 Worten an einem der ersten Tage einen steilen Anstieg. Und der Anfänger, von dem ich hier berichte? Er muss weg. Beruflich. An Tag 10 ist gefühlt die ganze Reisegruppe an ihm vorbeigezogen und er hat erst 10.000 der bis dahin vorgesehenen 20.000 Worte erreicht. Dazu kehrt er auch noch bei der sensationell guten Online-Autorenmesse ein. Irgendwann muss er jetzt mal loslegen!
Vereinzelt verharren noch Wanderer im Tal, sie werden wohl dort auch bleiben und den Anstieg nicht mehr wagen. Ohne einen Plan geht es nicht, weiß jetzt der Anfänger. Er schnappt sich noch einmal die Karte und zeichnet seine Tagesrouten ein: 1.500 Worte an den Jobtagen, 2.000 oder 2.500 an den anderen.
So geht es weiter, und jeder Tag gestaltet sich anders. In Fahrt kommen ist das Wichtigste. Nach den ersten Sätzen läuft es in der Regel flüssig und die Blasen vom Vortag sind schnell vergessen. Am schlimmsten jedoch sind die Tage, die nichts ins Rollen kommen – da ist es, wie sprichwörtlich auf dem Zahnfleisch zu gehen. Jeder dieser Sätze zieht sich wie ein quälender Lehrer-Monolog, dem man Lauschen muss und nicht entfliehen darf.
Doch all der Mühe ist es wert, wenn man dem Gipfel schließlich nahe kommt. Es ist wie das Runners High beim Joggen. Jetzt weiß auch der Anfänger, dass er es schaffen kann – am besten bezwingt er direkt auch noch den nächsten Berg. Zumindest dieser Gedanke erweist sich schnell als Trugschluss, wenngleich sich der Anfänger nun verlässlich dem Ziel entgegen schreibt. Das Publikum feuert an, und von oben winken bereits die ersten Autoren aus der Reisegruppe.
Einige, die noch weit entfernt sind, spielen nun mit vollem Einsatz ihr ganzes Equipment aus. Nochmal 5.000 oder gar 6.000 Worte am letzten Tag, dann sind auch sie glücklich und erschöpft am Ziel angelangt. Für den Anfänger enthüllt sich nun die Erkenntnis, warum ein erfahrener Autor, den Wettbewerb schweren Herzens sausen ließ. Er war mit seinen Vorbereitungen einfach noch nicht weit genug.
P.S.
Dieser Text hat kaum mehr als 600 Worte.
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