Kurzgeschichte von einem Esel
Wenn sich die Kollegen zum Mittagessen im Gebäude trafen oder andernorts ihre Speisen auftaten, stand er meistens dort alleine auf der Wiese. „Schaut mal da“, sagten die Kollegen und zeigten in seine Richtung. „Der Esel.“ Und dann lachten sie, wie er dort sein Gras fraß und nur i und a sagte.
Doch eines Tages hatte das Huhn, das gemeinsam mit den Kollegen aß genug davon. Denn das Huhn war ein geselliges Fräulein und fand es schade, dass der Esel dort so alleine stand. Also ging sie zu ihm und lud ihn ein, gemeinsam mit den Kollegen zu einem Fußballspiel zu gehen. I sagte der Esel nur und graste weiter. Das Huhn wartete noch eine Weile, bekam aber keine andere Antwort mehr.
Dieses possierliche Schauspiel wiederholte sich von Woche zu Woche und da sich die Fußballsaison schon ihrem Ende neigte, wurde das Huhn immer aufgeregter. Sie kreischte und schlug mit den Flügeln um sich, wenn sie den Esel besuchte und von den Spielen berichtete. I sagte der Esel nur und blieb ruhig, obwohl er innerlich hoffte, sie möge verschwinden und mit den Fragen aufhören.
Sobald er wieder alleine auf der Wiese stand, rief er manchmal in die Stille hinein und wünschte sich von einem seiner Artgenossen gehört zu werden. Für den ungeübten Zuhörer und erst Recht für seine Kollegen klang das laute i und a wie ein Schnaufen und Klagen. Für den Esel jedoch war es wie das Telefonieren mit einem Bekannten, doch hörte er immer nur Freizeichen und es rief auch niemand zurück. So blieb sein innigster Wunsch unerfüllt, denn unter seinen Kollegen und Kolleginnen fand sich niemand, der nur damit zufrieden war, in Ruhe den Tag zu verbringen und vom Gras zu speisen. Er fühlte sich unverstanden, wie auch er seine Kollegen nicht verstand und sie fremd für ihn blieben. Er würde dem Huhn wohl eine Chance geben müssen, dachte er, und vielleicht würde er beim Fußball sogar ein paar Artgenossen treffen. So sagte er i und a, als ihn das Huhn das nächste Mal besuchte und war fast schon ein wenig euphorisch.
Nun, als der Samstag zu Besuch kam und der Esel endlich entschieden hatte, was er anziehen würde (denn er ging so wie immer), traf er sich mit dem Huhn und den anderen Kollegen im Stadion. Das Huhn war sehr aufgeregt, als sie dann neben ihm auf den Platz saß und sich über das Geschehen auf dem Rasen freute. I sagte der Esel immer nur, denn ihm war das alles zu viel. Das Huhn neben ihm kreischte und schlug mit den Flügeln, überall um ihn herum waren andere Leute, die klatschen, sangen und aufsprangen. Das Huhn johlte dem Esel zu, dass auch er aufspringen solle, aber er blieb sitzen und beobachtete das Spiel, das er so wenig verstand. Eine Gazelle in schwarz blies öfter in ihre Pfeife und dann blieben alle stehen, um kurz danach wieder in ihren Formationen ihren einstudierten Wegen über den Platz zu folgen. Der Esel kannte das von seinen Artgenossen, denn auch sie benutzen immer die gleichen Pfade, um auf ihrer Wiese möglichst wenig Gras zu zertrampeln. Am liebsten hätte er nun laut gerufen, denn er vermisste ein paar Mannschaftsgefährten, doch er traute sich nicht wie die Leute alle neben ihm herum hampelten und klatschten, und das Huhn aufgeregt mit ihren Flügeln schlug, und er von alldem keine Ahnung hatte.
Also entschied er sich zum Getränkestand zu gehen, denn etwas kühles Wasser würde ihm sicher gut tun. Das Huhn schlug immer noch begeistert um sich und war so in das Spiel vertieft, dass sie nicht einmal bemerkte, wie der Esel aufstand und davonging. Vorsichtig schlich er durch die Reihen, wurde aber trotzdem öfter von grölenden Gestalten angerempelt, die ihm entgegen kamen. Auch die dicke Hummel hinter dem Tresen missbilligte mit ihrem argwöhnischen Blick seine ungewöhnliche Getränkewahl. Bar könne man auch nicht bezahlen, ergänzte sie, er müsse sich erst eine Stadionkarte besorgen. Da reichte es dem Esel, dem das alles zu blöd war. Er ging einfach nach Hause und ließ das Huhn und die Kollegen zurück. Sollten sie doch über ihn lachen, denn er wusste, dass sie es taten, denn er war nicht dumm, auch wenn er nur zwei Buchstaben kannte.
Als die neue Woche begann, stand er wieder alleine auf der Wiese, und auch das Huhn kam nicht mehr zu ihm. Zunächst war er froh darüber, in Ruhe zu sein und einfach nur von dem Gras zu zehren. Doch fühlte er sich nun auch getrennt, wie er so von allem Abstand hielt, um sich vor zu vielen fremden Eindrücken zu schützen. Wie wild geworden rief er dann sein i und a, doch er bekam keine Antwort. Und wie er die Stille so aushielt und sogar begann das Huhn zu vermissen, wie sie aufgeregt von den Spielen berichtete und mit ihren Flügeln schlug, landete ein Vogel ganz in seiner Nähe und trällerte ein schönes Lied für ihn. In diesem Moment kam ihm eine Erleuchtung (denn die hatte der Vogel im Gepäck gehabt und in den Zeilen seines Liedes versteckt). Viele Esel waren unsichtbar, genauso wie er es war. Wahrscheinlich hatte er deshalb im Stadion keine Artgenossen gesehen, und nach ihnen gerufen hatte er auch nicht. Er dachte i und a, denn er würde sich und den anderen Leute eine zweite Chance geben. Sofort trabte er zum Mittagessen ins Gebäude und setzte sich zum Huhn und den Kollegen, denn er musste unbedingt wissen, wann das nächste Fußballspiel stattfand.
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