Mein Gott Walter nannten sie ihn nur noch, denn er war ein ziemlich zerstreuter Typ – und langsam dazu. Wenn mein Gott Walter zum Beispiel an einer grünen Fußgängerampel stand, sprang sie meistens schon auf rot, bevor er sich überhaupt dazu entschlossen hatte, seinen untersetzten Körper in Bewegung zu bringen. Mein Gott Walter hatte er sich selbst schon in solchen Momenten getadelt, und das war auch der Grund gewesen, warum er sich vor einiger Zeit einen Ruck gegeben und endlich für diesen Englischkurs angemeldet hatte.
Genauer genommen war es der Marlboro-Mann gewesen. Ihn hatte er schon als Kind bewundert, wie er alleine auf seinem Pferd der untergehenden Sonne am Horizont entgegen geritten war. Just free stand inzwischen auf allen möglichen Plakaten, und es war dieses Wort mit F, von dem mein Gott Walter alsbald kosten wollte. Amerika, hatte er oft gedacht, dort würde er hingehen müssen. Immerhin beherrschte er inzwischen einige Brocken ihrer Sprache.
Schon in der ersten Stunde des Englischkurses hatte sich mein Gott Walter in seinem Entschluss bestätigt gefühlt, als in dem hufförmig angeordneten Sitzkreis ihm gegenüber Fanny Platz genommen hatte. Sie war so natürlich, hatte er immer wieder gedacht, anders als die Kolleginen aus dem Restaurant, die er allesamt für abgehoben und eingebildet hielt. Fanny dagegen hatte er sich sofort nahe gefühlt, in einer Phase, in der sich mein Gott Walter seine Zeit mit Filmschnipseln vertrieben hatte, in denen alle Nase lang jemand Fuck rief – vor allem Frauen. Mein Gott Walter gefiel, wie Fanny zurückhaltend lächelte, wenn sie etwas falsch aussprach oder ihr ein paar braune Haarsträhnen ins Gesicht fielen, wenn sie auf ihr Papier schaute, um eine Aufgabe zu lösen. Gerne hätte er es ihr längst gesagt gehabt, doch seitdem ihm diese Geschichte mit diesem F-Wort passiert war, wollte er sich eine ähnliche Peinlichkeit lieber ersparen.
Seit der ersten Stunde waren einige Wochen vergangen und mein Gott Walter hatte zwar keinen Kursabend, aber die eine oder andere Gelegenheit verpasst, Fanny auf einen Drink einzuladen. Anschließend hatte er sich immer über sein zögerliches Verhalten geärgert. Da ging es ihm wie früher beim Essen, wenn er mit seinen vier Brüdern an einem Tisch gesessen und nur deren Hunger darüber entschieden hatte, was für ihn überhaupt noch übrig geblieben war. Mein Gott Walter hatte seine Mutter dann immer gesagt und sich für ihn noch einmal an den Herd gestellt, während seine Brüder längst draußen spielen gegangen waren.
Diesen Fehler wollte er bei Fanny nicht wiederholen. Nur war heute die letzte Stunde des Kurses und seine Mutter würde ihm diesmal sicher nicht helfen. Wenn da nicht dieses F-Wort wäre, dachte er. Zu sehr genoss er Fannys Gegenwart, wenn er sie Englisch sprechen hörte oder sie sich sogar unauffällig berührten, wenn sie in der Pause zusammengestanden oder eine Partnerarbeit angefertigt hatten. Es war ihm regelrecht eine Freude, sie zu erleben, und mein Gott Walter mochte dieses Wort mit F, das er bislang so wenig kennengelernt hatte.
Nur das Aussprechen bereitete ihm Kopfzerbrechen und hatte ihn schon wieder langsam und übervorsichtig gemacht. Auch Fanny hatte sich über die Wochen verändert, wie er jetzt wieder nervös feststellen musste. Sie wich seinen Blicken aus und war jüngst immer als erste verschwunden, wenn der Lehrer einen Kursabend beschlossen hatte. Gerade bedankte dieser sich auch schon für die rege Teilnahme und wünschte allen viel Spaß und Erfolg mit der neu erlernten Sprache. Fanny packte bereits ihre Sachen, schaute kurz auf. Mein Gott Walter traf ihren Blick, sein Herz schlug schneller, er musste es ihr sagen, sie fragen. Heute. Sofort. Gleich zu ihr gehen. Nur Astrid, dachte er. Dinge konnten schiefgehen, auch wenn man seinen ganzen Mut zusammennahm.
Keine Zeit, spukte es ihm wieder im Kopf herum. Sie sei auf einen Geburtstag eingeladen. Ach so, hatte mein Gott Walter noch in seiner Nervosität gemeint und gefragt, wer denn feiern würde. „Mein Freund“, war Astrids Antwort gewesen, und da wäre mein Gott Walter am liebsten nach Amerika ausgewandert. Gerne hätte er diese Erinnerung aus der Zeit seiner Kochausbildung ausdrücken wollen wie einen Eiterpickel, doch gerade kam ihm eine viel bessere Idee. Er hatte Englisch gelernt, er konnte auch daraus etwas lernen. Trau dich, dachte er, als im allgemeinen Geraschel, Stühle zurück und wieder an ihren Platz geschoben wurden.
Mein Gott Walter sprang auf, folgte Fanny, die gerade durch die Tür den Raum verließ. Er würde sie einfach fragen, sollte passieren, was wolle. Jedes F hatte auch eine gute Seite, dachte er, als mein Gott Walter Fanny bei ihrem Namen nannte und sich im gleichen Moment dazu entschlossen hatte, genau um diese zu kümmern: Forever.
Peter Steinz meint
Hm. Nette Geschichte die gut anfängt, aber für mich!, aber der zweiten Hälfte leider abfällt.
Nachfolgend deshalb möglichst wertfrei einige sub- und objektive Bemerkungen:
Auch nach dem zweiten Lesen ist mir nicht ersichtlich, auf was sich der Satz “Gerne hätte er es ihr längst gesagt gehabt, doch seitdem ihm diese Geschichte mit diesem F-Wort passiert war, wollte er sich eine ähnliche Peinlichkeit lieber ersparen.” bezieht. Gemeint sein kann ja nicht der Konsum der kleinen Videoschnippsel, geschah dieser (vermutlich) ja nicht öffentlich und zudem zum wiederholten Male (Vorsatz), also war es kein “Fehlklick” oder Mein-Gott-Walter Opfer der fragwürdigen Redtube-Abmahnungen.
Einige Anmerkungen zum 2.ten Teil (Syntax und Story, Anmerkungen in Klammern):
“Mein Gott Walter traf ihren Blick, (Hier Punkt und neuer Satz oder ein UND; Dadurch verständlicher und erhöht den Takt) sein Herz schlug schneller, (Gedankenstrich oder ein PUNKT wenn vorher UND) er musste es ihr sagen, sie fragen. Heute. Sofort. Gleich zu ihr gehen. Nur Astrid, dachte er (Das wirkt unverständlich, evtl. “Wenn nur nicht Astrid gewesen wär, dachte er sich”, “Nur nicht wie bei Astrid, dachte er sich” o.ä. // Wichtig, um den Leser abzuholen, dass dies ein Einschub ist).
“(Kein Absatz vor diesem Satz, wenn es sich um den selben Moment, die selbe Situation handelt)
Keine Zeit, spukte es ihm wieder im Kopf herum. Sie sei auf einen Geburtstag eingeladen (…,sagte Sie damals/…,meinte Sie damals o.ä. // sonst kommt der Leser durcheinander durch die Zeitsprünge).”….” Er hatte Englisch gelernt, er konnte auch daraus etwas lernen (Die Logik daraus erschließt msich nicht). Trau dich, dachte er, als im allgemeinen Geraschel (Nette Situationsbeschreibung), Stühle zurück und wieder (“und wieder”, sonst wirkt der Satz zu ungelenk) an ihren Platz geschoben wurden.
“Er würde sie einfach fragen, sollte (“sollte” ist Präteritum // “Solle” oder noch besser ..,”komme was wolle”) passieren, was wolle. Jedes F hatte auch eine gute Seite, dachte er (lieber hier mein Gott Walter und danach ER), als mein Gott Walter Fanny bei ihrem Namen nannte und sich im gleichen Moment dazu entschlossen hatte (entschloss?!), genau (“sich von nun an”, statt genau) um diese (“sie” statt diese”) zu kümmern: Forever.
(Die Anmerkungend es letzten Satzes vorbehaltlich der Annahme, dass ich den Sinn richtig erfasst habe, wessen ich mir nicht ganz sicher bin // Generell ist diese F-Wort Geschichte ganz niedlich, spielt sie doch mit der Frage, welche Variante ihm nun im Kopf vorschwebt. Ist am Ende jedoch schon fast etwas zu schmalzig, jedoch Geschmackssache // Die Schreibweise “mein Gott Walter” sollte zwecks besserer Lesbarkeit überdacht werden, z.B. “Mein Gott”- Walter o. Mein-Gott-Walter // Generell jedoch GROSS, da Eigenname)
“
janmikael meint
danke für die hilfreichen Anmerkungen!
Die Peinlichkeit und Fanny nicht anzusprechen, löst sich tatsächlich erst am Ende mit der Astrid-Erinnerung auf. Möglicherweise ist dies nicht poientiert genug ist, dass es bei dem F-Wort letztlich um den Freund (bzw. den Korb als Hürde) geht.
Was die korrekte Zeitform angeht, bringt mich oft das “hatte” aus dem Fluß. Da fehlen mir oft Alternativen, um die Erklärungen (aus der Vergangenheit) besser einzuweben.
Das “diese” am Ende ist doppeldeutig, bezieht sich eher auf die F-Seiten, liest sich tatsächlich aber eher andersrum. Interpretationsspielraum 😉 Mit Ihren Verbesserungen:
„Er würde sie einfach fragen, komme, was wolle. Jedes F hatte auch eine gute Seite, dachte mein Gott Walter, als er Fanny bei ihrem Namen nannte und sich im gleichen Moment dazu entschloss, sich von nun an um diese (wegen F-Seiten wüde ich diese statt sie lassen) zu kümmern: Forever.”
Peter Steinz meint
Die Astrid Erinnerung kommt dann in dem Fall zu spät und lässt den Leser bei soviel “Zwischentext” irritiert zurück. Vor allem zeitlich gerät das Ganze durcheinander, da der Leser nicht versteht, dass es sich immer noch um die Erzählung des peinlichen Zwischenfalls handelt. Man wartet darauf, doch spätestens bei dem Bezug auf die Gegenwart “Nur war heute die letzte Stunde des Kurses…”, wägt er sich in einem anderen Erzählstrang, da es sich ja eigentlich um ein Ereignis in der Vergangenheit handeln müsste.
Ich verstehe nun was mit “DIESE” gemeint ist, jedoch war die Doppeldeutigkeit vorher nicht ersichtlich. Ich finde die Idee witzig, aber leider mäßig umgesetzt – da fehlt dann noch ein Einschub. Für den Leser ist der Rückschluss auf die F-Seiten nicht ersichtlich.
Merke:
Nicht alles was einem beim Schreiben und Dichten einfällt und dessen Zusammenhänge total schlüssig erscheinen, ist auch für einen Dritten logisch nachzuvollziehen.
janmikael meint
okay, dass die Auflösung erst am Ende kommt, ist Absicht, aber der Merksatz ist gemerkt 😉