aus: (Zw)ei(n)sam
Ein märchenhaftes Palindrom vom Verstehen und Vergeben
Der junge Mann fand auf seinem Weg durch die Katakomben noch viele Gefangene und jeder kann sich vorstellen, wen es dort zu treffen gibt. Etwa den Lustlosen, den Jammernden, den Untätigen und viele weitere. Und die Reise eines jungen Mannes würde ewig weitergehen, wenn es dort nicht letztlich die beiden Brüder gäbe. Bis zu ihnen ist es ein weiter Weg, doch wenn man sie einmal entdeckt hat, wird jeder junge Mann (und hier müssen die Menschen im Allgemeinen unbedingt noch einmal erwähnt werden) eine neue Erkenntnis gewinnen. In diesem Verlies also, das der junge Mann entdeckte, waren gleich zwei Männer eingesperrt, und beide sahen sich zum Verwechseln ähnlich.
„Hallo ihr beiden.“, sagte der junge Mann und trat an ihre Zelle. „Wie geht es euch?“
„Uns geht es gut“, antwortete der eine.
„Du lügst“, fiel ihm sogleich sein Bruder ins Wort.
„Nein, es ist die Wahrheit“, behauptete der Lügner.
„Gestern hast du aber noch etwas anderes gesagt.“
„Gestern war gestern und heute ist heute. Und jetzt ist jetzt. Und jetzt geht es mir gut.“ Darauf wusste sein Bruder nichts zu antworten, denn offensichtlich hatte es doch gestimmt, was der Lügner gesagt hatte.
„Ist euch nicht langweilig?“, fragte der junge Mann. „Ich will zur Sonne. Ihr könnt mit mir kommen.“
„Die Sonne interessiert uns nicht“, setzte nun der andere Bruder an und wurde jetzt vom Lügner berichtigt: „Das stimmt nicht! Gestern hast du noch etwas anderes gesagt.“
„Gestern war gestern und heute ist heute.“
„Das ist höchstens die halbe Wahrheit“, rief der Lügner entrüstet. „In Wirklichkeit hast du nur Angst!“
Der Ängstliche wurde rot und rang nach Luft. Er wollte etwas erwidern, aber er wusste, dass sein Bruder schon wieder recht hatte.
„Kommt doch einfach mit mir“, sagte der junge Mann. „Die Sonne ist wunderschön.“
„Uns gefällt es hier unten aber gut“, behauptete nun der Ängstliche, und der Lügner nickte.
Da wurde dem jungen Mann klar, dass er alleine bleiben würde, denn alles ist Wahrheit, und den Brüdern gefiel es hier unten gerade gut. Schade, dass sie sich gegenseitig austricksten, dachte er und staunte darüber, denn er hatte noch etwas erfahren: Nicht nur der Lügner und der Ängstliche waren miteinander verwandt, sondern alle Gefangenen, denen er auf seinem bisherigen Weg begegnet war.
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