Kunibers Treuebekenntnis
Kunibert liebte Krückes kleinen Imbiss, wie der rechteckige etwas verschmutze Glaskasten deplatziert mitten in der Einkaufsstraße stand, wie die Menschen es wie ein Hindernis umkurvten und die drei Stehtische meistens einsam verloren herumstanden. Kunibert liebte den kleinen Röhrenfernseher, wie er auf seinem Schwenkarm in den Raum hinein lugte, er liebte die Diskussionen mit Sandro und Krücke und wie an einem Abend wie diesem das Öffnen des Kühlschranks hinter dem Tresen immerhin noch ein Lichtblick war.
Kunibert Eder – Mut zur Liebe.mp3
Treue zum Verein
„Mach die endlich weg!“, beschwerte sich Sandro und meinte damit die Tabelle, die in grünen und weißen Lettern auf dem Bildschirm flimmerte.
„Ihr seid zwar meine Stammgäste“, entgegnete Krücke, der bewusst auf Bezahlfernsehen in seinem wohnzimmergroßen Imbiss verzichtete. „Aber welche Videotexttafel angezeigt wird, entscheide immer noch ich.“
„Dann kauf dir wenigstens nen größeren Fernseher“, maulte Sandro weiter. „Auf deinem erkennt man nämlich nichts.“
„Vielleicht auch besser so”, bemerkte Krücke und kam hinter dem Tresen hervor. Mit einer angedeuteten Verbeugung stellte er drei Bierflaschen auf dem Stehtisch ab. „Hier die Herren!“
„Auf Krummfuß!“ Sandro erhob seine Flasche. „Der einzige Brauchbare bei Willerse. Nur wenn die so weiterspielen, verlängert der bestimmt nicht. Der pokert schon viel zu lange.“
Schmadtke, dachte Kunibert, Manager von Hannover, Pokerspiel hatte ihm die Presse unterstellt, weil er sich in heimische Gefilde zurückgesehnt hatte. „Ich liebe meine Familie mehr“, hatte er gesagt und um Auflösung seines Vertrags gebeten. Am Ende waren Frau und Kind nach Hannover gekommen, und man hatte sich doch geeinigt. Von wegen Pokerspiel.
„Na ja, wer bleibt heute schon noch lange bei seinem Verein?“, nahm Sandro den unausgesprochenen Gedanken auf.
Preetz, dachte Kunibert, der war bei Hertha – schon immer. Er stieg auf und ab, machte nicht alles richtig, einiges sogar falsch, aber er war immer bei der alten Dame geblieben – und sie hielt auch zu ihm.
Disney-Liebe
„Willerse ist doch seine große Liebe“, meinte nun Krücke. „Sagt er doch selbst immer.“
„Du guckst zu viel Disney!“, schimpfte Sandro. „Dieses alberne Puppentheater ist doch die größte Lebenslüge. Und die spielen wir unseren Kindern auch noch vor. Oder was meinst du Kuno?“
„Ich?”, überlegte Kunibert, und war in Gedanken ganz woanders. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war sie aufgetaucht. Sie unterhielt sich gerade mit einer Freundin, bestimmt war es eine Freundin, zumindest lächelte sie, und Kunibert lächelte mit. „Ich kenne nur einen Disney-Film”, antwortete Kunibert abwesend. „Und das war Asterix bei Kleopatra.”
Ja, dann solle er sich wieder hinlegen, grunzte Sandro, immerhin würde er von Krummfuß reden, und wenn der erstmal die ganzen Geldscheine sehen würde, wäre der sofort weg. Man sehe aber nur mit dem Herzen gut, war dann Krücke’s Einwand, woraufhin Sandro das geflügelte „ich sehe was, was du nicht siehst“ einbrachte, und das das ganz schön dreckig sei, womit er unzweifelhaft die verschmutzen Glasscheiben meinte. Es sei ja auch sein Herz, weshalb er trotzdem zu ihm käme, erklärte Krücke mit predigendem Unterton, was Sandro mit einem „Laber nicht und mach die Augen auf!“ zurückgab. Er würde schließlich nur Starthilfe leisten und sobald der richtige Zeitpunkt käme, unterstellte er Krücke, würde sich dieser sowieso eine bessere Adresse suchen. Das sein Freund das so machen würde, antwortete Krücke besonnen, sei ihm natürlich klar, was Sandro noch mehr in Rage versetzte, da es doch um ihn hier überhaupt gar nicht gehe. Immerhin würden sie doch von Krummfuß reden und was denn Kuno nun überhaupt dazu zu sagen hätte.
Ein Lichtblick
Fragend schauten ihn die beiden Freunde an, Kunibert träumte sich noch immer auf die gegenüberliegende Straßenseite. Er überlegte, ob Disney-Märchen vielleicht doch Realität werden konnten. Dort stand sie nämlich, und Kunibert lächelte. Sandro stieß ihn an.
„Kuno, was los?“
„Mut zur Liebe“, gab Kunibert in Gedanken von sich und sah erst jetzt, dass er den Augenblick nicht einmal bemerkt hatte. Sie war längst verschwunden.
„Ich sag’s doch“, triumphierte Krücke. „Was Kuno sagt, ist Gesetz. Krummfuß bleibt.“
Kunibert seufzte, war Sandro wohl doch im Recht und Disney nur eine Erfindung sehnsüchtig nach Liebe und Romantik verlangender Seelen. Am Ende zählte halt eh nur, was man glaubte und was man damit machte. Und Kunibert glaubte nun, dass es besser war zu gehen oder wenigstens vorher noch ein bis zwölf Bier bei seinem Freund Krücke zu trinken. Sowas versprach Ablenkung, wenn der Lieblingsverein mal wieder verloren hatte, auf einem Abstiegsplatz stand und das Treuebekenntnis der Identifikationsfigur ausblieb. An solchen Abenden liebte Kunibert Krückes Imbiss, denn da wenigstens das Öffnen des Kühlschranks hinter dem Tresen ein Lichtblick war.
(Bildrechte: Peter Fuchs via photopin cc)