Kuniberts Helden-Begegnung
Kunibert Eder schob einen Stuhl beiseite und setzte sich an einen freien Tisch. Nicht viel los hier, stellte er fest. Nur in der hinteren Ecke des Biergartens entdeckte er einen älteren Herrn, der nachdenklich über der Speisekarte brütete. Kommt mir bekannt vor, überlegte Kunibert, aber er kam nicht drauf. Sein Blick schweifte weiter über das imposante Panorama, während die frische Bergluft seinen Schnurbart kitzelte. Seine Freunde hatten Recht gehabt. Er hatte rausgemusst, mal was anderes sehen, nicht überall Gespenster.
Überall Beschiss
Vergnüglich schlug Kunibert den Sportteil der Tageszeitung auf, und da sprang es ihm gleich ins Auge: Weit über eine Million (Freizeit-)Sportler in Deutschland missbrauchen leistungssteigernde Präparate. Überall Beschiss, dachte er, Doping bei der Tour, Spionage in der Formel 1 und Bestechung von der Serie A bis hin zur Fußball-Kreisklasse. Nur wozu der Quatsch, fragte er sich.
Kunibert Eder – Wahre Helden.mp3
Na klar, dachte Kunibert, das natürliche Kräftemesse fördert seit jeher den Kampf darum, die Nummer Eins zu sein. Dem Sieger winken schließlich Ruhm und Ehre. Das war in der Antike so, überlegte er, und wird in Zeiten weltweiter Sportübertragungen nur noch auf die Spitze getrieben. Die Leistungsdichte wird enger und die Versuchung mit unerlaubten Mitteln nachzuhelfen nicht geringer. Dann noch der Erfolgsdruck durch Betreuer, Geldgeber und die Öffentlichkeit. Das war alles nicht so einfach, dachte Kunibert und schüttelte seine braungelockte Mähne. Unterdessen beobachtete er aus dem Augenwinkel, wie der ältere Herr seine Bestellung aufgab. Die hochstehenden Haare, der grummelige Gesichtsausdruck, überlegte Kunibert, aber er kam nicht drauf.
Betrüger und Betrogene
Stattdessen rollte seine Gedankenlawine unaufhaltsam weiter, denn worin besteht überhaupt die sportliche Herausforderung, wenn man sie mit unerlaubten Mitteln wieder auszuhebeln versuchte? Gerade im sportlichen Wettkampf, kombinierte Kunibert, liegt für den Sportler doch die große Chance, seine Grenzen auszutesten und zu erweitern. Nicht nur sich selbst betrügt der Sportler, natürlich auch die Zuschauer, der Sport aber schreibt seine Geschichten so oder so – Geschichten von Favoriten und Herausforderern, von Helden und Versagern, von Betrügern und Betrogenen. Ja, so ist es, entfuhr es Kunibert und schlug seine rechte Hand überschwänglich auf den Tisch. Und der Betrug ist nur eine Facette davon.
Wie durch einen Zufall kam genau in diesem Moment ein Jogger des Weges. Er blieb am Zaun des Biergartens stehen und dehnte seine Waden. Ja, dachte Kunibert, er ist ein wahrer Held des Sports. Er und alle Aktiven, die den Wettkampf gegen ihren inneren Schweinehund immer wieder aufnehmen und ehrlich vor sich selbst behaupten können, nicht zu betrügen. Und galt das nicht sowieso auch für das Leben allgemein? Kunibert bremste sich sofort wieder. Wo sollten solche Überlegungen denn da noch hinführen? Das war doch ein Fass ohne Deckel. Nein! Er hatte jetzt Urlaub.
„Held ist man für einen Tag…”
Der Jogger trabte wieder an und schickte noch einen beschwingten Gruß in den Biergarten: „Servus Herr Zach!“ Der Zach war’s. Natürlich, entfuhr es Kunibert. Der Zach, dachte er. Der ehemalige Eishockey-Trainer der Hannover Scorpions. Der hatte doch nach dem Playoff-Ausscheiden seiner Mannschaft einmal gesagt, was etliche Sportler und Funktionäre bei ihrer Titeljagd gerne vergessen: „Held ist man für einen Tag, Ehrenmann sein Leben lang.“
In diesem Sinne, Kunibert schlug die Zeitung wieder zu und erfeute sich am Rest des schönen Tages.